Über unsere Angstvermeidung

Ich habe bereits davon gesprochen, dass uns ein Anzeigeinstrument für unseren Angstzustand fehlt. Hingegen verfügen wir über intensive Anzeigeinstrumente für die Abwesenheit von Angst. Wie früher im Dschungel geleitet uns unser Angstsystem genau an jene vermeintlich sicheren Orte. Wir nehmen also nicht die Angst wahr, sondern ihren Rückgang oder ihre Vermeidung. Dies führt uns an Orte, die wir nur extrem ungern wieder verlassen. Das oft gebrauchte Bild von der Komfortzone beschreibt das hohe Trägheitsmoment, das uns an Orten der Angstvermeidung festhält. Draußen lauern natürlich keine wilden Tieren, trotzdem ist das Trägheitsmoment unsere Vermeidung so kraftvoll, als müsste uns es uns vor dem sofortigen Verspeisen durch Raubtiere schützen. Vor was uns die Trägheit unserer Vermeidung schützen soll, ist uns in aller Regel gar nicht bewusst. Häufig genug interpretieren wir diesen Zustand deshalb auch eher als Faulheit oder Müdigkeit.

Die Beschäftigung mit unserer individuellen Form der Vermeidung, unseres Rückzugs aus vermeintlichen Gefahrenzonen ist deshalb von so großer Bedeutung, weil wir außer unserem Vermeidungsverhalten keine greifbare Richtschnur haben, um aus unserer durch Angst verursachten Lethargie und Lähmung und herauszuarbeiten. Das Vermeidungsverhalten ist insofern ein indirektes Hilfsmittel, um uns mit der Grundsatzentscheidung zwischen Freiheit und Vermeidung aktiv zu beschäftigen.

Vermeidung hat viele Gesichter und die naheliegendste Form heißt, „einfach nicht hingehen“. Aber häufig ist das Vermeidungsverhalten wesentlich feiner, es packt unser vermeintlich selbstbestimmtes und aktives Leben wie in Watte. Vermeidung verbirgt sich also häufig hinter vielen, durchaus auch aktiven Gewohnheiten, über die wir unsere eigentlichen Ängste nicht mitbekommen. Das kann durchaus offensichtlichen sozialen Rückzug bedeuten, durch den wir zu Feiern und Festen nicht mehr hingehen und auch andere Begegnung vermeiden, wo es eben geht. Es kann sich im Konsum von zu viel Alkohol, Zigaretten, Fernsehen und DVD-Serien niederschlagen. Im "zu viel Essen", "vor-sich-herschieben", aber genauso auch durch übermäßiges Sport treiben oder wenn wir mit der Arbeit nicht aufhören können.